Belaubte Wälder, Wärme, Licht und blauer Himmel sind auf der Kanareninsel La Gomera fast immer gang und gäbe. Denn auf dem immergrünen Eiland im Atlantik herrscht ewig Frühling. Für Naturfreunde ein ganz besonderes Schlaraffenland ist der geheimnisvolle, wunderschöne Lorbeerwald von Garajonay.
Wie durch ein unsichtbares Tor betritt der Wanderer das Reich der Hexenbäume. Sonnenschein und Vogelstimmen bleiben hinter ihm. Die Nebelwand, die jeden Laut zu schlucken scheint, umschließt ihn ebenso wie das Gewirr der schiefen, knorrigen und krummen Stämme, Äste, Zweige, Wurzeln. Die meisten sind so dicht von Moos und Flechten überwuchert, dass man meinen könnte, es sei Fell. Dazwischen schießen braune, gelbe oder weiße Pilze wie Beulen aus dem Pflanzenpelz.
Wo kein Platz mehr auf dem Holz ist, wachsen lange, wilde Zotteln – grün bis silberweiß und manchmal meterlang – nach unten. Vom Boden strecken sich zerzauste Büsche und hohes Farn entgegen. Gänsedisteln geben sich mit kräftigen, holzigen Stängeln als kleine Bäume aus. Ihre sonnengelben Blüten und leuchtend grünen Blätter, die an Löwenzahn erinnern, sorgen für farbenfrohe Tupfer in der nebeligen Düsternis. Doch selbst dort, wo keine Blumen blühen, zieht die schaurig-schöne Wildnis den Betrachter tief in ihren Bann.
Die kühle Luft ist voller winzig kleiner Wasserperlen, riecht nach Erde, feuchtem Laub und – Lorbeerbäumen. Das Biotop, das sie hier im Herzen La Gomeras bilden, ist weltweit das bedeutendste seiner Art. Mit Echtem Lorbeer, allgemein bekannt als Ingredienz für Suppen und antike Siegerkränze, sind diese aromatischen Pflanzen jedoch nur verwandt. In tiefen Zügen atmen die Wanderer den herben Duft. Die alten Griechen glaubten, er könne Tote zum Leben erwecken.
Man spricht Pfeifisch
Lorbeerwälder bedeckten früher weite Teile des europäischen Kontinents. Von der Eiszeit, die sie vernichtete, blieben die Kanaren verschont. Die vulkanischen Inseln waren nie mit dem Festland verbunden. Vier endemische Spezies aus der Familie der Lorbeergewächse, zu denen übrigens auch Zimt und Avocado gehören, existieren auf dem Archipel bis heute. Ihr Bestand auf La Gomera ist das Kernstück des Nationalparks Garajonay, der mit knapp 4.000 Hektar Teile aller sechs Gemeinden und insgesamt ein Zehntel der Inseloberfläche einnimmt.
Der Ozean und La Gomeras Küsten mit winzigen Buchten und schwarzen Sandstränden liegen nun dem Wanderer zu Füßen, fast einen Kilometer unter ihm. 500 Meter weiter oben erwartet ihn der höchste Punkt der Insel: der Pico de Garajonay. Immer wieder gibt der Wald den Blick frei auf den blauen Horizont, eingerahmt von Bergen. Zwischen ihnen viele tiefe Schluchten.
Um sich über sie hinweg verständigen zu können, schufen die Ureinwohner La Gomeras die weit hörbare Pfeifsprache Silbo. Heute wird sie sogar an den Schulen der Insel gelehrt. Sie gehört ebenso zum kulturellen Erbe wie der Trommeltanz, das Palmenblätter-Flechten sowie das „freihändige“ Töpfern. Denn traditionell verwenden die gomerischen Keramiker bei ihrer Arbeit keine drehbaren Scheiben.
Die Aussicht ist gigantisch. Wer hier steht, fühlt sich wahrhaftig wie im Himmel – und scheint tatsächlich dort zu sein. Denn inzwischen führt der Weg durch Wolken. Dort, wo sie an den steilen Inselflanken hängenbleiben, recken ihnen die ewig durstigen Lorbeerbäume ihre haarigen Glieder entgegen, um sie damit förmlich leer zu melken. Auf ihren Blättern, die von Wachs bedeckt sind, verwandelt sich der Wolkendunst zu Wasser und tropft über etliche botanische Etagen zum Boden.
Die Bäume melken die Wolken
Wie Schwämme saugen sich die Moose voll. Mit dicken, schüsselartigen Blättern eifern Sukkulenten um jeden Tropfen. Wo die braune bis rote Erde unbewachsen ist, bilden sich oft Schlamm und Pfützen. Viele kleine Quellen, die man passiert, vom Weg aus sieht oder auch nur plätschern hört, sorgen für den Abfluss all des Wassers, das der Wald nicht aufnehmen kann.
Je weiter der Pfad nach oben führt, um so trockener wird alles. Die Wolken sind wie weggeleckt, die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern wieder. Wie auch in den Höhenlagen bis 500 Meter, wo Wacholder und Kanarenpalme gedeihen, fehlt es hier an lebensspendender Feuchtigkeit.
Kein Problem mit Wasserknappheit haben kleine Reptilien wie die seltene La-Gomera-Rieseneidechse. Mit etwas Glück entdeckt man eine zwischen Steinen und Gebüsch. Auch die Flora passt sich an. Immergrüne Gagelbäume und Riesen-Erika gesellen sich zu dem robusten Artenmix, wo der Lorbeerwald ganz allmählich zum Baumheide-Buschwald wird.
Der Legende nach fand in diesem Wunderland eine Liebesgeschichte ihr tragisches Ende. Weil die Verbindung zwischen der Guanchen-Prinzessin Gara und dem Bauernsohn Jonay aus Teneriffa nicht geduldet wurde, floh das unglückliche Paar in La Gomeras Wolkenwald und ging gemeinsam in den Tod. Der Geist ihrer Liebe soll bis heute in den Bäumen wohnen. Berg und Nationalpark tragen ihre Namen.
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Tipps & Infos
Übernachten: Oberhalb einer Steilküste im Südosten, nahe der Playa de Santiago an der Südostküste und des Golfplatzes Tecina, punktet das 4-Sterne-Resort „Jardin Tecina“ mit weitläufigem Garten, Adults-only-Bereich und einer herrlichen Aussicht auf Atlantik und Teneriffa.
In Valle Gran Rey an der Westküste La Gomeras liegen die sonnige Playa Calera und das gleichnamige 4-Sterne-Hotel mit 59 Junior und zwei Royal Suites, alle mit Balkon oder Terrasse. Von der Dachterrasse mit Panorama-Pool kann man den Blick auf den Ozean mit einem Cocktail oder schwimmend genießen.
5-Sterne-Komfort gibt es auf der Nachbarinsel Teneriffa – etwa in den Luxusresorts Ritz Carlton, Bahía del Duque oder Jardines de Nivaria.
Buchtipp: Der Wanderführer „Gomera“ aus dem Michael Müller Verlag von Oliver Gerhard und Rasso Knoller ist eine ausgezeichnete Orientierungshilfe mit praktischen Infos zum Erkunden der Insel. Viele der präzise beschriebenen, GPS-kartierten Routen führen auch durch den Lorbeerwald oder sind ihm direkt gewidmet. 192 Seiten, 35 Wanderkarten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-89953-684-3, www.michael-mueller-verlag.de.