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Starnberger See: Der See der Dichter

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Starnberger See: Der See der Dichter

  • Mythos Starnberger See: Schriftsteller und Lebenskünstler suchten hier fernab vom Alltagstrubel nach Einkehr und Inspiration. Noch immer zieht die idyllische Kulturlandschaft Künstler aus ganz Deutschland an. Auf den Spuren von Patrick Süskind, Herbert Achternbusch und Co.
Starnberger See Boot. Luxusreisen

Der Würmsee, so der ursprüngliche Name des schönsten Voralpensee diesseits und jenseits des Brenners, begeistert auf den ersten Blick. Ob in einem lauschigen Biergarten, auf einem der Motorschiffe der weißblauen Flotte oder beim Baden am Kiesstrand unter mächtigen Buchen und Kiefern. Noch vor den Malern haben die Dichter und Schriftsteller entdeckt, dass dieser See etwas hat, was andere nicht haben. Nicht ganz unschuldig daran war der Himbsel: Der erfolgreiche Unternehmer und königliche Baurat Johann Ulrich Himbsel hat nicht nur die Schifffahrt am See begründet, sondern bereits im Jahre 1854 die Bahnstrecke von Pasing nach Starnberg gebaut. „Stand bis Starnberg mit meinem Koffer auf der Plattform; unangenehm war nur der Kohlenrauch“, schildert Thomas Mann im Tagebuch vom 17. Mai 1919 die Fahrt an den Würmsee, wo er den Unruhen nach der Zerschlagung der Räterepublik Bayern entgehen wollte.

Späte Entdeckung

In Feldafing überließ ihm sein Freund Georg Martin Richter für 10 000 Mark zwei Zimmer im ersten Stock seines Ferienhauses zur ständigen Nutzung. „Mausloch mit Grammofon“ oder auch „Villino“ nannte Mann das im englischen Stil erbaute Häuschen am Westufer des Starnberger Sees, in dem er sich fern vom familiären Trubel seines Münchner Anwesens dem Schreiben widmete. Lange Zeit war der Zufluchtsort Manns nicht exakt zu lokalisieren. Erst 1994 entdeckte der Münchner Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer die kleine Villa bei einem seiner literarischen Spaziergänge durch Zufall auf Bundeswehrgelände und konnte sie in den folgenden Jahren in eine literarische Gedenkstätte umwandeln. Zwischen 1919 und 1924 entstanden dort große Teile des „Zauberbergs“ und der weltanschaulichen Essays, in denen sich – laut Heißerer – Manns Wendung vom „polemisierenden Antidemokraten“ zum „politischen Verantwortungsethiker“ zeigt.

Nicht nur bei Sonnenuntergang lohnt sich ein Besuch an den wunderschönen Starnberger See

Zuhause für Maler, Schriftsteller und Filmemacher

Keine künstlerische Ruhe, sondern trinkfeste Stammtischgesellschaft suchte der umstrittene Filmemacher, Maler und Schriftsteller Herbert Achternbusch am See. Er fand sie am gegenüberliegenden Ufer in Ambach, einem kleinen hübschen Dorf mit 300 Einwohnern, in dem sich noch am ehesten die geschlossene Atmosphäre jener phantasievollen Landhäuser erhalten hat, mit der das aufstrebende Bürgertum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts den Starnberger See zu einer aparten Kulturlandschaft umgestaltete. Eine kurvenreiche Straße windet sich hinab zum Wasser, vorbei an der Holzhausener Kirche und an weitläufigen Obstgärten. Obwohl die schmale Seeuferstraße in Ambach für den Durchgangsverkehr gesperrt ist, fällt es schwer, dort einen Parkplatz zu ergattern. Denn gleich gegenüber dem Dampfersteg liegt das wahrscheinlich bekannteste Lokal am See: das Gasthaus „Zum Fischmeister“, das sich seit Generationen im Besitz der Familie Bierbichler befindet.

Wohngemeinschaft der Kreativen

Ende der 1970er-Jahre gründete der Herbert Achternbusch dort gemeinsam mit dem Wirtssohn Sepp Bierbichler und dessen Schwester Annamirl eine Wohngemeinschaft, die sich auch erfolgreich als Filmensemble versuchte. Die Künstler-WG hielt zwar nur wenige Jahre, begründete aber einen Mythos, der bis heute die Kreativen aus München und der Republik anzieht. Wobei der „Bierbichler“, wie die Einheimischen das Lokal nennen, nüchtern betrachtet nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein schmuckes bayerisches Wirtshaus mit kleinem Biergarten in traumhafter Lage ist.

Früher kreative Wohngemeinschaft, heute bayerisches Wirtshaus in Traumlage

Nur einen Steinwurf vom Bierbichler entfernt erwarb 1918 der erfolgreiche Verleger und Schriftsteller Waldemar Bonsels das Haus des ungarischen Historienmalers Gyula Benczur. Nach dem Welterfolg seines Buches „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ konnte sich Bonsels diese spontane Entscheidung leisten. Bis heute erreichte die Geschichte um die neugierige Biene Millionenauflagen. Übersetzungen in mehr als 100 Sprachen, Filme, Hörspiele und ein Musical machten sie zum Liebling der Kinder. Auch Patrick Süskind beschreibt im kurzen Prosawerk „Die Geschichte von Herrn Sommer“ eine Kindheit in diesem bezaubernden Ort. Wie in seinem Welterfolg „Das Parfum“ konfrontiert Süskind, der 1949 in Ambach geboren wurde, den Leser auch in diesem tragikomischen Buch mit einem Sonderling. Von einem Kaiserreich der Kinder, das „Kalumina“ heißt und 1928 eine kurze Zeit im fünf Kilometer entfernten Ammerland besteht, erzählt dagegen Kadidja Wedekind in ihrem „Roman eines Sommers“. Darin berichtet die Tochter des Dramatikers Frank Wedekind und der Schauspielerin Tilly Newes von der Regierung der Kaiserin Carola I., einer Regentin, die autobiografische Züge mit Anklängen an Jeanne d’Arc und Napoleon Bonaparte vereint. Eine Ahnung davon, wie leicht und unbeschwert das Leben am Starnberger See einmal gewesen ist, vermittelt der kulinarische Abstecher zum Hoffischer Sebald, dessen Familie seit 1850 von Ammerland aus auf die Jagd nach den schuppigen Silberlingen geht. Unter Obstbäumen sitzt man hier im weitläufigen Garten in geselliger Runde am Biertisch und genießt geräucherte Renken und Saiblinge – zusammen mit einer frisch aufgebackenen Brezen und einem dunklen Weißbier ein Gedicht.

Buchtipp: „Wellen, Wind und Dorfbanditen. Literarische Erkundungen am Starnberger See“

Autor: Dr. Dirk Heißerer

Diederichs Verlag, München 1995, Neuausgabe 2010
ISBN 978-3-424-35047-0

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