Leise rieselt der Schnee, legt sich auf die knorrigen Aleppokiefern und verwandelt den Gipfelbereich des 1952 Meter hohen Olympos in eine Winterlandschaft. Lange wird sich die weiße Pracht auf Zyperns höchstem Berg nicht halten, dafür herrschen im Januar noch zu hohe Tagestemperaturen. Doch schon bald liegt der Schnee im wilden Troodos-Gebirge mehr als einen halben Meter hoch. Auf den vier Pisten – Zeus, Hermes, Aphrodite und Hera genannt – gibt es dann prima Abfahrten bis in den März. Während der Winter weit oben Einzug hält, sonnen sich die Zypernurlauber bei höchst angenehmen Luft- und Wassertemperaturen von 20 Grad am nur 45 Autominuten entfernten Strand. Radfahrer machen sich zu ausgedehnten Touren auf, ohne Handschuhe und Mütze. Dass bereits Aphrodite – der Sage nach bei Kouklia dem Meer entstiegen und im Zeusschen Götterclan für Liebe zuständig – den wildromantischen Süddwesten der Insel bevorzugte, sollten Reisende als divinen Fingerzeig verstehen. Besonders gut gefallen hat es ihr auf der Akamas-Halbinsel. Noch immer liegen dort in unberührter Natur ihre Lieblingsquelle und „Loutra tis Aphroditis“, ihr Badeplatz an der Chrysochou-Bucht.
Der wilde Westen Zyperns
Ähnlich beeindruckend ist eine Wanderung durch die Avakas-Schlucht bei Agios Georgios. An der schmalsten Stelle verengen sich die Felswände bis auf wenige Meter. Überall tropft und plätschert es, die Steine im Bach sind von einer dunkelgrünen Moosschicht überzogen. Selbst in den Sommermonaten scheint die Sonne nur maximal eine Stunde in die kühlen Abgründe.

Doch der friedliche Schein trügt: Um das Naturparadies im wilden Westen Zyperns tobt ein heftiger Streit zwischen Naturschützern und Investoren. Erstere möchten die Halbinsel mit den letzten unverbauten Küstenstrichen Zyperns als Naturschutzgebiet erhalten wissen. Hoteliers und Landeigentümer warten dagegen darauf, dass die Regierung neues Bauland für Luxusresorts, Tavernen und Geschäfte freigibt. Wie der typische Konflikt zwischen Tourismuswirtschaft und Naturschützern ausgeht, ist offen.
Spitzenweine aus dem Herzen der Insel
Zurück ins Kühle Herz der Insel, das weit entfernt von der Strand-Idylle liegt. Kaum hat man die Küstenautobahn zwischen den Touristenhochburgen Limassol und Pafos passiert, führen steile, gut ausgebaute Straßen in eine geheimnisvolle Landschaft des Weines, wo die Trauben in Höhen von bis zu 1500 Meter über dem Meer reifen. „Die Terroirs im Troodos-Gebirge zählen zu den besten der Welt. „Doch vor 25 Jahren stand die zyprische Weinindustrie kurz vor dem Kollaps“, sagt Winzer Marios Kolos, dessen Amforeas-Kellerei in Agios Fotios rund 1000 Meter hoch liegt. „Es wurde ausschließlich billiger Massenwein produziert, der nur noch in den ehemaligen Ostblockstaaten Abnehmer fand.“ Offensichtlich hatten die Zyprer jegliches Interesse am Wein verloren. „Die Bauern warfen die Trauben auf offene Lastwagen und ließen sie tagelang im Freien stehen“, sagt der drahtige Mittfünfziger. So ein Umgang hat katastrophale Folgen, eine saubere Gärung ist fast unmöglich. „Böse Zungen behaupten, dass damals mehr als die Hälfte der Weinernte von den Ladeflächen der Trucks auf die staubigen Straßen tropfte.“
Heute jedoch füllt eine junge Generation von Winzern wieder Spitzenweine ab, die den internationalen Vergleich nicht scheuen müssen, wie Marios‘ Cabernet Sauvignon von 2001 beweist. Auch beim Xinisteri, der verbreitetsten heimischen weißen Sorte, setzt er Maßstäbe: Frisch und fruchtig präsentiert sich sein trockener Wein, der zudem die Basis für den berühmten Dessertwein Commandaria bildet. Herodotos Herodotou, dessen Linos Winery auf einem Hügel über dem Bilderbuch-Bergdorf Omodos thront, versucht sich dagegen erfolgreich an der heimischen roten Sorte Maratheftiko. Der ehemalige Polizist kombiniert diese mit den Sorten Mavro, Grenache und Mataro. Endprodukt ist der „Linos Red“, ein weicher eleganter Tropfen.
Regionale Spezialitäten aus der Taverne „Ambelothea“
In der Taverne „Ambelothea’“, etwas außerhalb von Omodos gelegen, serviert Patron Philipos Makaritis einen ganzen Reigen Meze, kleine Vor- und Hauptspeisen, typisch für die zyprische Landküche, bei denen man zwei goldene Regeln beachten sollte: Immer die kleine Portion bestellen, denn auch diese besteht mindestens aus zwölf Gängen. Und von allem nur probieren – ansonsten ist man bereits nach den Vorspeisen total gesättigt.

Zeit sollte man ebenfalls mitbringen. Zum Anfang serviert Philipos Taramosalta (Fischrogenpaste), Chriatiki (die hiesige Version des griechischen Bauernsalats), Talattouri (Gurken, Jogurt, Knoblauch, Olivenöl) und weitere Schälchen mit Lountza (in Wein marinierter Schweineschinken), Oktopus in Rotweinsoße und Tsamarella, eine Trockenfleischspezialität, für die eine ganze ausgenommene und entbeinte Ziege auf einem Kräuterbett in der Sonne getrocknet wird. Erst danach tischt man die Hauptgerichte auf: Afelia, Schweinegulasch mit Rotwein und Koriander, Paidakia, zarte Lammkoteletts, und Scheftalia, pikant gewürzte Würste aus Schweinehack. Aus dem Lehmofen kommen zum krönenden Abschluss noch Kleftiko – mit Kartoffeln gebackenes Lammfleisch – und Stifado, ein Rindsgulasch mit Zwiebeln in einer Zimtsoße.
Bergkirchen mit 800 Jahre alter Geschichte

Nach einer derart opulenten Mahlzeit fällt es schwer, sich auf den oft steilen und kurvenreichen Weg zu den größten Schätzen des Troodos-Gebirges zu machen. Dabei lohnen die neun zum Weltkulturerbe zählenden Bergkirchen, die sich in dessen mächtigen, blaugrau schimmernden Flanken verstecken, jeden Umweg. Zugegeben, von außen erscheinen die kleinen Gotteshäuser eher unbedeutend. Das prächtige Innendekor lässt den Betrachter jedoch verstummen und nimmt ihn mit in eine andere Welt, lässt ihn versinken im unendlichen Farbenreichtum byzantinischer Freskenmalerei. Kaum zu glauben, dass die frisch wirkenden Farben zum Teil schon mehr als 800 Jahre lang der Zeit trotzen. Fast so schwer zu begreifen wie die Erkenntnis, dass Zypern ein richtiges Skigebiet besitzt.