Der tätowierte Mann mit der Tolle steht mit einem Glas Wein im alten Gewölbekeller seines Vaters. Die edlen Flaschen in den rund 200 Jahre alten Regalen haben schon Patina angesetzt. Wüsste man nicht, dass René Pollak eigentlich ein bodenständiger Winzer aus dem Weinviertel ist, noch dazu in der dritten Generation, könnte der 36-Jährige auch Darsteller in einer „Grease“-Neuverfilmung sein. Als Winzer ist er angetreten, um mit Rock ‘n’ Roll die verstaubte Weinszene aufzuwirbeln. Die Pomade im Haar, die Hornbrille und die Biker-Jeans sind mehr als ein modischer Gag. „Rock ‘n’ Roll ist meine Lebenseinstellung“, sagt er. Das habe er schon als 14-Jähriger gespürt. Seine Helden sind damals Bill Haley, Johnny Cash und Elvis Presley. Der Teenager versäumt kein Festival oder Treffen von Rockabilly-Fans, die das 50er-Jahre-Feeling mit Musik, Klamotten und amerikanischen Oldtimern wieder aufleben lassen. Zu dieser Zeit weiß er noch nicht, dass der Name Rockabilly einmal seine Weinetiketten zieren wird.
Winzer werden wie der Vater oder Großvater? Der junge Rocker überlegt und geht erst mal auf die Weinbauschule in Krems. Danach ist für ihn die Sache klar. Er zeigt Vater Wolfgang den sticky finger und ist weg. Pollak hat (noch) keine Lust auf den elterlichen Weinbetrieb und beginnt stattdessen eine Optikerausbildung. Ein Zufall will es, dass er sich Jahre später wieder mit dem Gedanken anfreundet, doch Weinbauer zu sein.
Die 640 Seelen-Gemeinde in Unterretzbach bietet das alte Dorfwirtshaus zum Verkauf an. René’s älterer Bruder Harald, ein gelernter Koch, der seit vielen Jahren in Wien lebt, will sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und bewirbt sich für den Kauf. Die beiden Brüder tauschen sich aus und bald steht fest: „Wenn Du zurückgehst, komm’ ich auch wieder“, verspricht Pollak. Harald bekommt das alte Dorfwirtshaus und René muss jetzt dringend mit seiner Frau Ramona sprechen. Er kennt ihre Vorbehalte gegenüber dem Landleben. Die Beiden sind seit zehn Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. „Ich geh’ wieder nach Hause“, eröffnet er ihr eines Abends. „Ich kann das aber nur machen, wenn Du mitgehst“. Ramona willigt überraschend ein. Es folgt ein klärendes Vater–Sohn-Gespräch und die Konditionen für den Weinbetrieb werden neu besprochen. Die Idee, dem Weingut einen neuen Schliff zu verpassen, gefällt auch den Eltern.
Ist der Wein toll oder hat er nur die Tolle am Etikett?
Der Rebell ist zurück und 2013 wird ROCKABILLY WEINKULT geboren! Ein Jahr später kommt der erste Jahrgang auf den Markt. „Aus Liebe zum Wein und aus Liebe zum Rock ‘n’ Roll“ steht auf dem Etikett, das einen Kopf mit Elvis-Tolle und Schnurrbart ziert. Gezeichnet hat es Markus, ein befreundeter Tätowierer. Matthias, Renés Cousin macht das Grafik-Design dazu. Gearbeitet wird im Wohnzimmer des Haupthauses, alles wird selbst hergestellt von der Postkarte bis zum Rockabilly Weinkult Bierfilzl.
Auf 30 Hektar bauen sie Veltliner, Sauvignon, Riesling, Merlot, Muskateller und Cabernet Sauvignon an, auf sandigen Böden aus Lehm-Lössgemisch. Kompliziert sind die Weine nicht, sollen sie auch nicht sein. „Sie müssen Spaß machen“, sagt Pollak. Ein wenig provozieren will er damit natürlich auch. Die Kategorie „Spaß“ ist vielen renommierten Winzern fremd. Kenner sprechen beim Wein verkosten von verschiedenen Aromen wie blumig, frucht- und oder säurebetont, erdigen Aromen oder auch schokoladigen Geschmacksnoten. Die Geschmacks- und Aromenpalette scheint fast endlos. Aber, warum soll ein Wein eigentlich nicht rocken? Vor Kurzem war er zu einem Workshop zur 15. Weinwoche im Stock Resort im Zillertal eingeladen. Bei der Verkostung stellte ein Weinkritiker ernsthaft die Frage: Ist der Rockabilly-Wein toll oder hat er nur die Tolle am Etikett? Der Grüne Veltliner „Stoanan“ überzeugte dann selbst den Skeptiker, der nach dem ersten Schluck zu einer Hymne auf die „Wucht und Intensität“ anhob. Der Veltliner sei „knackig, zart rauchig und doch voller Exotik“. Pollak muss grinsen: „Der Wein rockt, sag ich doch.“ Der Tollen-Winzer ist auf seine Art stolz auf die Arbeit. „Ich bin von meinen Weinen so überzeugt, dass ich alle Motive, die auf den Etiketten stehen, mir auch hab’ tätowieren lassen“. Dass das Ernst gemeint ist, belegen die bunten Kunstwerke auf seinen Armen. Auf einem Tattoo, ist der Todestag von Elvis Presley verewigt. Der 16.08. ist auch für Pollak ein Schicksalstag. „Ich feiere an dem Datum meinen zweiten Geburtstag. An diesem Tag vor drei Jahren, überlebt er nur knapp einen Autounfall. Es dauert Monate, bis er wieder fit ist, viele Narben am rechten Arm erzählen von dieser Geschichte.
„Früher war ich ein wilder Hund“, erzählt er. Jetzt lebt er bewusster. „Wie viele gute Veltliner kann ein Winzer in seinem Leben machen? Vielleicht zwanzig? Ein Koch hat’s da einfacher, der brät an einem Tag zwanzig perfekte Schnitzel.“ Pollak ist seit dem Unfall noch offener für Experimente und für die Macht des Zufalls.
Schmeckt nach Chefsache: der Wein des Praktikanten
Da ist zum Beispiel die Geschichte mit dem Praktikanten. Auf einer Rockabilly-Veranstaltung lernt er zufällig Jannik kennen, den Sohn eines Winzerehepaares aus der Pfalz. Wenig später arbeitet Jannik mit dem Spitznamen „der Praktikant“ auf dem Rockabilly Weingut. Jannik, ein gelernter Önologe, hat freie Hand und darf auf einigen Parzellen des Weingartens experimentieren. Ein paar Monate später wird der beste Chardonnay des Jahres gekeltert. Und weil der Chef ein echter Rocker ist, kommt der Wein sofort mit dem Etikett „Der Praktikant“ in den Handel. Und weil man nie genug von gutem Stoff bekommen kann, gibt es ihn natürlich auch in der Magnumflasche.
Welchen Traum möchte er sich noch erfüllen? Pollak schenkt sich noch ein Glas ein und lehnt sich an die alte Gewölbemauer. Falsche Frage. Was soll einer schon antworten, der seinen Traum seit Teenagerzeiten lebt? „Wenn die Dinge mal schiefgehen, laufe ihnen nicht nach“, hat Elvis Presley gesagt. Ich bin zufrieden, solange ich bei meiner Familie bin und Wein machen darf. Mehr geht nicht.“
Gut zu wissen
Rockabilly Weinkult
Verkostungen und die passenden Accessoires zum Wein gibt es in der umgebauten Dorfschmiede: Das Kabinett.
Ramona & René Pollak
Hauptstraße 21
A-2074 Unterretzbach
T. 0043/676/926 35 46
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Web: www.rockabilly-weinkult.at