Lesen Sie hier den ersten Teil der Nordland-Reisereportage „Von Pinguinen und Weihnachtsmännern: unterwegs in Reykjavík mit der MS World Explorer“.
Am frühen Morgen erreicht die World Explorer Heimaey, die größte und einzig permanent bewohnte der 14 Westmännerinseln im Süden Islands. Steuerbord ragt Heimaklettur, ein 279 Meter hoher, grasbedeckter Felsblock, in den Himmel. Erstarrte Lava, zu dicken Schichten aufgelaufen, bildet auf der Backbordseite eine respektable, bis zu 40 Meter hohe Mauer.
Entstanden war sie 1973, ebenso wie Eldfell, der Vulkan. Große Inselteile inklusive 100 Häusern begrub er überraschend unter seiner Asche. Die enormen Lavaströme, die unter anderem die lebenswichtige Hafeneinfahrt zu verschließen drohten, konnte man erfolgreich stoppen. Der Wall, der sich aus ihr gebildet hat, schmälert zwar den Schiffsweg, doch überwiegt sein Nutzen als Schutz des Hafens vor der Meeresbrandung.
Die Einfahrt in den engen Naturhafen ist spektakulär. Denn so wendig das kleine Schiff auch ist, so wenig Platz bleibt ihm doch hier zum Manövrieren. Kapitän Amadeu Albuquerque hat großen Spaß daran. Der 66 Jahre alte Gentleman aus Portugal scheint mit allen Wassern dieser Welt gewaschen. Mit sieben lernte er, ein Segelboot zu steuern. Mit 16 fing sein Seemannsleben an. Seither ist er auf jedem Ozean gefahren, mit Schiffen jeder Art. Das größte war ein 75.000-Tonnen-Liner.
„Die World Explorer ist ein Rettungsboot dagegen“, scherzt der Erfahrene mit väterlicher Miene. Auf dem kleinen Schiff fühlt er sich spürbar wohl. „Es ist gemütlich, die Atmosphäre sehr persönlich“, meint er freundlich lächelnd. So nah wie hier an Crew und Gästen sein zu können, sei für einen Kreuzfahrtkapitän von heute schon fast Luxus, so Albuquerque.
Als die Morgensonne auf das Schiff scheint, ist es bereits verankert. Unter strahlend blauem Himmel zeigt sich Heimaey als ein grünes Paradies. Mittendrin, bedeckt von Wiesen: die Vulkane Helgafell und Eldfell. Die ersten Wanderer der World Explorer sind schon unterwegs zu ihnen. Die Feuerberge-Tour kreuzt einen Häuserfriedhof. Zum Gedenken an die Katastrophe von vor 46 Jahren, die ein Menschenleben forderte, hat man einige der zerstörten und verschütteten Gebäude freigelegt. Von den Straßen blieben nur die Schilder. Ruinen, Trampelpfade, zurückeroberte Natur. Und ein wunderbares Panorama mit Ozean und Bergen. Ganz fern am Horizont: der Gletscher Eyjafjallajökull.
Über eine Treppe geht es zurück zur Stadt. Auf dem Weg zum nahen Hafen passiert man das nagelneue Besucherzentrum des Beluga-Reservats von Sea Life Trust. Die Naturschutzstiftung der gleichnamigen britischen Großaquarien-Kette hat es im Juni 2019 in der Klettsvik-Felsenbucht eröffnet. Erste Pfleglinge sind zwei Weiße Wale aus einem Meereszoo in China. Nach Eingewöhnung in einem Schutzpool sollen sie ins offene Gewässer umziehen.
Im Archipel der Clownsgesichter
Besonders viel Besuchsverkehr herrscht an diesem Vormittag an der Hintertür des Hauptgebäudes. Einheimische mit Pappkartons geben sich die Klinke in die Hand. Was tragen sie da hin und her? Ein blondes Mädchen klärt den neugierigen Deutschen auf. „Lundi!“, sagt sie, das isländische Wort für Papageientaucher, und fügt das englische hinzu: „Puffins!“
Im Puffin Rescue Centre, das zum Beluga-Reservat gehört, öffnet die Sechsjährige mit Hilfe ihrer Mutter die braune Schachtel. Ein taubengroßes graues Federbüschel reckt sein Köpfchen. Der halbwüchsige Papageientaucher ist noch grau, hat weder die leuchtend roten Beine und Augenringe der Erwachsenen noch deren tief orange gefärbten Schnabel. Doch schon in seinem Kindchenschema zu erahnen ist die markante Zeichnung, die für diese Vogelart so typisch ist: das traurig lächelnde Gesicht des Clowns.
„Gefunden haben wir das Kleine ganz in der Nähe unseres Hauses“, berichtet die Mama. „Vielleicht war der Wind zu stark“, vermutet sie. Auch Schwäche aus Nahrungsmangel oder Orientierungsfehler durch nächtliche Beleuchtung könnten dazu führen, dass sich die jugendlichen Tiere in die Stadt verirren. Freiwillige, vor allem Kinder, helfen, sie vor Gefahren wie Autos oder Katzen zu bewahren, bringen sie ins Rettungszentrum und danach – wenn sie gesund und munter sind – zurück in die Natur.
Ob irgendwo da drüben auf dem hohen Felsplateau das Nest des kleinen Vogels war? Viele World-Explorer-Gäste schauen unablässig durch das Fernglas, als das Exkursionsboot um die Insel Heimaey kreuzt. Von allen drei bis vier Millionen Papageientauchern Islands leben hier die meisten. „Da, da!“ ruft jemand freudig aufgeregt und zeigt auf eine grüne Fläche mit schwarzweißen Punkten. Schon aus größerer Entfernung kann man die hübschen Höhlenbrüter gut erkennen. Bald ziehen sie vom Brutrevier zurück auf den Atlantik. Dort ist kurz darauf auch die World Explorer wieder unterwegs.
Himmels-Show der Extraklasse
Entlang der isländischen Küste hält sie zunächst Kurs auf Osten und dreht dann ab nach Norden. Der Sonnenuntergang ist an diesem Abend ganz besonders schön – und offenbar auch extra lang. Zumindest fühlt es sich so an, wenn man ganz oben an der Reling steht, den Sternen nah, und es nicht lassen kann, auf den bunten Streif am Horizont zu starren.
Von all dem Rot, Orange und Violett des Abendhimmels sind die Sinne sicher schon verwirrt, denkt man, als plötzlich grüne Schlieren auf den Augen flimmern. Komisch nur, dass es den anderen anscheinend ganz genauso geht. „Aurora borealis“, kommentiert ein Passagier das Phänomen so feierlich, als verkünde er den Namen einer weiblichen Berühmtheit – Polarlichter. Und tatsächlich legt der Superstar aus Farbgas nun eine Lichtshow hin, die sich gewaschen hat.
Aus dünnen grünen Schleiern werden Bögen oder Bänder, die sich mal akkurat geformt und mal diffus, mal leuchtend hell, mal kaum erkennbar, durch das dunkle Nachtblau ziehen. Bis auf gelegentliche rote, gelbe oder lila Kanten beschränkt sich das Spektakel auf die Farbe Neongrün. Höhepunkt ist eine doppelte Girlande, die sich am Ende zur Spirale rollt – oder soll es ein geheimnisvolles Fragezeichen sein? Und ebenso allmählich, wie ihr Auftritt anfing, schwebt Frau Borealis wieder von der Bühne.
Wasserfall und Heidelbeeren
Am nächsten Vormittag erreicht die World Explorer Reyðarfjörður, den größten Fjord im Osten Islands mit bis zu 1.000 Meter hohen Gipfeln. Die Felsenarme breit geöffnet, empfängt er das Schiff, dessen Passagiere überwältigt sind von der rauen Schönheit dieser kargen Landschaft.
Traurigen Ruhm erlangte sie durch die Aluminiumfabrik des US-amerikanischen Konzerns Alcoa. Ihren enormen Strombedarf deckt das eigens dafür gebaute Kárahnjúkar-Kraftwerk. Für das gewaltige Projekt mit Damm und Stausee opferte die Landesregierung ein großes Stück einzigartiger vulkanischer Urnatur, einst Heimat der seltenen isländischen Rentiere. Kurz vor dem Schmelzwerk biegt das Schiff nach rechts ab auf den Eskifjörður, einen Seitenarm des Fjords, und legt im gleichnamigen Fischerstädtchen an.
Der Sonnenschein verlockt zum Wandern. Prima Gelegenheit dazu bietet der Wasserfall des Flüsschens Bleiksá, das in unzähligen Kaskaden über die gesamte Talwand plätschert. Auf Grund der vielen Steine wird der Weg zum Teil zur Klettertour. Doch die Mühe lohnt sich. Die Aussicht auf die Berge und den Fjord ist überwältigend. Und dazu gibt es massenweise reife, herrlich süße Heidelbeeren.
Mit blaugefärbten Lippen und etwas Muskelkater in den Beinen, wird auf dem Deck der World Explorer noch etwas Sonnenschein genossen – ohne zu wissen, dass es fast der letzte dieser Kreuzfahrt sein wird. Die Färöer am nächsten Tag zeigen ihre grünen Berg-und-Tal-Landschaften leider nur mit grauem Wolkenfilter. Die Bewohner dieser 18 autonomen Inseln, was sowieso vor allem Schafe sind, stört das herzlich wenig.
Nur Ziegen wollen fort vom Fjord
Auch die Küste Norwegens empfängt die Reisenden mit feuchtem Wetter. Vor allem Bergen macht seinem Titel als regenreichste Stadt Europas alle Ehre. Gut beschirmt und wasserdicht bekleidet, fügt man sich den Launen der Natur und genießt dennoch den Spaziergang durch die Festung Bergenhus, das malerische Hanseviertel Bryggen und den Fischmarkt.
Auf Stavanger mit seiner gleichfalls hübschen Altstadt freuen sich die meisten Passagiere wohl vor allem, weil die Bootstour durch den Lysefjord dort starten soll – und es dann auch tut, trotz Regens. Wer deshalb nicht mitkommt, wird sich später ärgern. Denn der dramatisch-malerische Wolkenhimmel und die teils vernebelten, teils glänzend nassen, hellen steilen Felsenwände liefern eine wirklich spannende Kulisse für den Ausflug.
Nach einem Spaziergang durch die regenreichste Stadt Europas – Bergen – geht es weiter durch den Lyseford
Markante Punkte des Programms: der Preikestolen aus der Frosch- oder besser Lachs-Perspektive, ein Kaffee-und-Waffel-Stopp in einem Schärengasthaus, diverse Wasserfälle, Robben und zwei verzweifelte Extremsport-Ziegen, die offensichtlich unter starkem Heimweh leiden.
Die zu sommerlichen Weidezwecken auf sich selbst gestellten Tiere scheinen plötzlich große Lust auf ihren Stall zu haben. Das ufernahe Boot als Fluchtgelegenheit im Blick, stürzen sie per Senkrecht-Steilwandsprüngen darauf zu, täuschen vor, um Leckerlis zu betteln und versuchen schließlich, sich eigenmächtig einzuschiffen. Als eines Kopf und Vorderbeine schon durch die Reling steckt, packt es ein beherzter Fahrgast bei den Hörnern und schubst es wieder auf die Weide. Blöde Ziege. Was würden andere wohl dafür geben, wenn sie ihr Gras bei einer solchen Aussicht fressen könnten!
Der letzte Stopp im nieseligen Nordland, dass sich hier Südland nennt, ist Kristiansand. Ein bisschen Zeit bleibt auch für einen Rundgang durch die hübsche Hafenstadt, doch zunächst geht es per Bus nach Grovane. Am alten Bahnhof dort qualmt und zischt bereits die Dampflok der urgroßväterlichen Eisenbahn. Eröffnet anno 1896, maß ihre Strecke einstmals 78 Kilometer. Acht davon erhielt man und nutzt sie museal. Die kurze Fahrt nach Røyknes führt durch das pittoreske Setesdal am Otra-Fluss entlang, vorbei an Felsen, Kieferwäldern und dem Byglandsfjord – mit Qualm und Ruß, doch wildromantisch.
Zum Abschied durchaus passend, gibt es von ganz oben ein paar Tränen: zum letzten Mal auf dieser Reise norwegischer Regen. Bald sind die Wolken dänisch und kurz darauf schon deutsch. Vorbei am Wattenmeer, an Sylt und Helgoland, steuert die World Explorer auf die Elbe zu. Bei einem maritimen Frühschoppen genießt man Aussicht, Bier und Sonnenschein, freut sich über die vielen schönen Bilder im Kopf und auf der Speicherkarte – und natürlich auch auf Hamburg. Die alte, ewig junge Hafendiva empfängt das Schiff mit vielen Winkenden und trägt für seine Gäste aus dem Norden ein Abendkleid aus lila Wolken.
(Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von nicko cruises.)
Tipps & Infos
Alle Informationen zum Expeditionsschiff MS World Explorer finden Sie im ersten Teil dieser Reisereportage „Von Pinguinen und Weihnachtsmännern: unterwegs in Reykjavík mit der MS World Explorer“.
Die Nordland-Route
Reykjavík (ISL): 128.000 Einwohner. Sehenswürdigkeiten: die lutherische Hallgrímskirkja (1943/86) mit Lift und Aussichtsplattform (74,5 m, Okt.-April 9-17, Mai-Sept. 9-21 Uhr, 1.000 ISK), das Konzerthaus Harpa (9-22 Uhr, freier Zutritt), das Museum der Naturwunder Islands mit Planetarium (Nordlicht-Shows) im Kuppelgebäude Perlan (9-22 Uhr, je nach Attraktion 2.690-4.490 ISK), das historische Holzhausviertel Grjótaþorp, die Dómkirkja (1796), das Denkmal für den ersten Siedlers Islands, Ingólfur Arnarson, und nicht zuletzt die zentrale Einkaufs-, Ess- und Spaßmeile Laugavegur mit Phallusmuseum (tgl. 10-18 Uhr, 1.700 ISK). Stadttouren in Englisch (2 h, Preis ist frei, Start Austurvöllur-Platz) oder abendliche Kneipentouren („Pubcrawl“, 2.500 ISK) gibt es bei City Walk Reykjavík.
Heimaey (ISL): 4.300 Einwohner. Die größte der 14 Westmännerinseln ist Ausgangspunkt für Boots- und Vogelbeobachtungstouren durch den Archipel. Eine Rettungsstation für Papageientaucher betreibt das Belugawal-Zentrum von Sea Life Trust am Hafen. Von dort starten auch Wanderungen zu zwei Vulkanen über Lavafelder und einen „Häuserfriedhof“. Sehenswert sind das Museum und die Minifestung Skansinn mit Stabkirche.
Eskijfördur (ISL): 1.300 Einwohner. Der Fischerort mit Kirche, Fischereimuseum (Juni-Aug. 13-17 Uhr oder nach Anmeldung) und einer imposanten privaten Steinsammlung (Mai-Sept. 9-18 Uhr) liegt am gleichnamigen Fjord. Der Wasserfall des Bleiskaflusses ist ein tolles Wanderziel.
Tórshavn (FRO): 19.000 Einwohner. Highlights der Färöer-Hauptstadt: Festung Skansin (1580) mit Leuchtturm, Domkirche (1788), Rathaus (1894), Fußgängerzone Niels Finsensgøta, Kunstmuseum, Haus des Nordens, sowie der „größte Wald“ des Archipels, der Tórshavner Stadtpark.
Bergen (N): 280.000 Einwohner. Tourtipps: Festung Bergenhus (12. Jh.) mit Håkonshalle (13. Jh.), Hanseviertel Bryggen mit 60 Holzhäusern im Stil des 17./18. Jh., Dom St. Olav und Marienkirche (beide 12. Jh.), Schifffahrtsmuseum. Unweit vom Fischmarkt (fisketorget) startet die Standseilbahn Fløibanen zum Fløyen-Berg (8 min, 90 NOK) mit Aussichtsterrasse.
Stavangar (N): 130.000 Einwohner. Außen einigen Häusern am alten Hafen und dem Dom (12. Jh.) besteht das historische Zentrum aus Gamle Stavanger – einem Bilderbuchviertel aus weißen Holzhäusern (18./19. Jh.). Einen Besuch wert sind das Norwegische Ölmuseum und das Schifffahrtsmuseum.
Kristiansand (N): 92.000 Einwohner. Wichtigste Sehenswürdigkeiten: die Festung Christiansholm (1672), der Dom (1885) und die weißen Holzhäuser im Stadtteil Posebyen (18./19. Jh.). Zwischen dem 15 km entfernten Grovane und Røyknes verkehrt die historische Setesdalbane (8 km, Juni-Sept., 200 NK)
Hamburg (D): 1,8 Mio Einwohner. Ganz in der Nähe des Cruise Centers HafenCity befinden sich die Elbphilharmonie (Besucherplattform, 37 m hoch, tgl. 9-24 Uhr, Zutritt frei), die historische Speicherstadt und die Landungsbrücken.
Währungen: 1 Isländische Krone (ISK) = 0,01 Euro, 1 Färöische/Dänische Krone (DK) = 0,13 Euro, 1 Norwegische Krone (NOK) = 0,10 Euro
Beste Reisezeit: Nordlichter sieht man am ehesten zwischen Oktober und März, wie diese Kreuzfahrt zeigte, manchmal auch schon im September. Der Sommer (Juni-August) ist die hellste, wärmste und niederschlagsärmste Jahreszeit. Gute Reisemonate sind auch Mai und September – vor und nach der touristischen Hauptsaison.
Lesetipp: „Lesereise Inseln des Nordens – Von Island bis Spitzbergen“ von Barbara Schäfer und Rasso Knoller, Picus Verlag, ISBN: 978-3-85452-957-6, 132 Seiten, gebunden, auch als E-Book erhältlich, 15 Euro